Denkfabrik: Wie kann künstliche Intelligenzen so eingesetzt werden, dass sie die Gesellschaft insgesamt voranbringt? Wie schaffen wir es, dass aus technologischem auch ein sozialer Fortschritt wird? Für die Denkfabrik steht fest: das kann nur gemeinsam gelingen. Mit der Civic Innovation Platform möchte sie deshalb Menschen mit ganz unterschiedlichen Perspektiven und Hintergründen zusammenbringen. Gemeinschaftlich sollen sie daran arbeiten, KI-Anwendungen zu entwickeln, die das Wohl des Menschen in den Mittelpunkt stellen. Neben Kreativität kommt es da vor allem auf gute Zusammenarbeit an und in diesem Sinne freuen wir uns sehr, dass der KI-Bundesverband die Plattform unterstützt. Wie genau es zu dieser Kooperation kam, darüber möchten wir heute mehr erfahren. Dazu begrüße ich Herrn Abbou, er ist Geschäftsführer des K Bundesverbandes. Herr Abbou, der KI Bundesverband unterstützt die Civic Innovation Platform. Warum ist das Projekt für ihren Verband interessant und mit welchen Kompetenzen können Sie das Projekt unterstützen?
Daniel Abbou: Also, wir halten es deshalb für eine gute Geschichte, weil man auch in der Gesellschaft sehen sollte, dass KI eine Möglichkeit ist, die Gesellschaft zu verbessern. Oder Menschen zu helfen durch KI, an die man nicht sofort denkt. Ich glaube, dass erste woran man bei KI denkt, neben den Terminator-Visionen und so einen Quark, ist eher der Punkt Effizienzsteigerung. Arbeiten, die vom Rechner übernommen werden, die bisher Menschen gemacht haben. Aber das ist es halt nicht. KI kann wahnsinnig gut unterstützen und auch im Gemeinwohl unterstützen. Und ich glaube, die Civic Innovation Platform ist eine gute Chance, auch an Personengruppen ranzukommen und ihnen zu zeigen, was KI machen kann. Sozusagen AI for good.
Denkfabrik: Als Verband vertreten Sie die Interessen von KI-Unternehmer*innen. Wie geht es der Branche aktuell? Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich?
Daniel Abbou: Es ist fast schon in diesen Zeiten schwierig zu sagen aber: uns geht’s blendend. Wir haben allein im letzten Jahr, also im Pandemie-Jahr 1 über 80-100 neue Unternehmen zu uns als Mitglieder anwerben können. Klar, es gibt einzelne Branchen, wo es schwieriger wurde. Aber im Großen und Ganzen erfahren Start-ups, künstliche Intelligenz und junge Unternehmen keinen großen Abschwung durch die wirtschaftliche Situation, eher im Gegenteil.
Denkfabrik: Wie beurteilen Sie die KI-Förderung in Deutschland? Was läuft bereits gut und wo müssen wir noch besser werden?
Daniel Abbou: Das ist ein schwieriges Thema. Civic Innovation ist ein positives Beispiel. Die Hürden sind relativ niedrig, Start-ups können daran teilnehmen und junge Unternehmen auch. Aber in vielen Förderprojekten auf Bundesebene sind die Eintrittskriterien so hoch. Gar nicht vom bürokratischen Faktor her, sondern Sachen werden ausgeschrieben, wo man drei Jahre zurückblicken muss finanziell und unternehmerisch und drei Jahre nach vorne. Wie soll ein zwei Jahre altes Start-up das machen? Natürlich hat man Ziele und Wünsche. Aber das als Voraussetzung zu machen ist ein Problem von Fördermaßnahmen des Bundes und der Länder. Das geht komplett an Start-ups und jungen Unternehmen vorbei.
Denkfabrik: Was macht eine gute gemeinwohlorientierte KI-Anwendung für Sie aus und worauf kommt es bei der Entwicklung Ihres Erachtens an?
Daniel Abbou: Das tolle bei der Jury gewesen zu sein ist, dass man Sachen sieht, auf die man so gar nicht gekommen wäre. Alles was Health Tracking für die Arbeitswelt angeht. Wie man Menschen unterstützen kann, um beispielsweise Frust am Arbeitsplatz abzubauen durch KI-Algorithmen. Wie man Menschen mit Behinderung unterstützen kann, die keinen wirklichen Zugang zum Digitalen haben, außer über das Handy. Dass man Personengruppen, die leider nicht privilegiert sind, unterstützen kann. Und das macht KI für das Gemeinwohl aus. Eine ausgesprochen wichtige Sache und deshalb sind wir sehr froh, dabei zu sein.
Denkfabrik: Wie haben Sie vor diesem Hintergrund die erste Runde des Ideenwettbewerbs „Gemeinsam wird es KI“ der Civic Innovation Platform empfunden und was wünschen Sie sich für die kommenden Runden?
Daniel Abbou: Was mir gefallen hat, war die Bandbreite der Projekte. Von der KI-Box für Kinder über Hilfemaßnahmen bezüglich Gesundheit am Arbeitsplatz bis hin zu Corporate Responsibility. Im Kopf blieb das Projekt des sächsischen Ringerbundes, der besondere Ideen hatte zum Thema Gesundheit, wie man richtige Übungen machen soll. Also die Bandbreite und die Zusammenarbeit mit dem BMAS und innerhalb der Gruppe hat mir sehr gefallen.
Denkfabrik: In vielen Unternehmen liegen ungenutzte Datenschätze – wie lässt sich eine Kultur des Daten-Teilens fördern?
Daniel Abbou: Wer die Antwort auf diese Frage hat, muss sich keine Sorgen um sein Bankkonto machen. Diese Frage zu beantworten ist eine Schwierige. Hier geht es darum, dass sie mit Kulturen brechen müssen, die sich seit 30-40 Jahren eingeschwungen haben. Das größte Problem, was wir in Deutschland haben in der Adaption von KI-Produkten ist, dass die klassische Wirtschaft sehr zurückhaltend ist, KI-Produkte anzunehmen. Weil der 60-jährige württembergische Unternehmer aus Tübingen, der seit 40 Jahren gelernt hat in Datensilos zu denken und jede Firewall der Welt hochzuziehen, damit die bösen ausländischen Plagiatoren nicht an seine Daten kommen. Und jetzt auf einmal soll er zum Datensharing in die Cloud gehen. Dieser kulturelle Wechsel ist schwierig beizukommen. Und das ist die Hauptaufgabe, an der es liegt, dass man vertrauenswürdige, sichere Datenplattformen hat. Wo auch der klassische Kleinunternehmer, Mittelständler dabei ist, Datensharing auch zu akzeptieren. Und zu wissen, dass er zwar seine Daten shared, aber man ihm bzw. die Konkurrenz daraus kein Nachteil generieren kann.
Denkfabrik: Sie fordern eine flächendeckende KI-Aus- und Weiterbildung, zum Beispiel Datenkunde als Pflichtfach ab der 3. Klasse. Warum ist es wichtig, dass sich alle Menschen frühzeitig mit KI auseinandersetzen?
Daniel Abbou: Weil es so, wie es bisher ist, nicht weitergeht. Wie kann jemand den kompletten Schulweg durchlaufen, ohne wirkliche Datenkunde zu machen? Man muss jetzt mal sehen, bei Datenkunde und digitaler Bildung reden wir nicht davon, dass alle Schüler*innen C++ als Programmiersprache lernen müssen. Es geht darum, grundsätzliche Sachen zu verstehen. Wie funktioniert ein Algorithmus, was ist eine if-then-Schleife, was ist data-sharing, was ist edge-computing? Das man schon im frühen Schuljahresalter weiß, in welcher digitalen Welt man groß wird. Ich finde Goethe, Rilke und Schopenhauer super. Aber dennoch ist es wichtig, diese neuen Begrifflichkeiten und neuen Punkte, die dich auch spätestens ab dem Einstieg ins Berufsleben treffen werden, dass die Leute gebildet sind, dass sie wissen, um was es sich dreht und damit auch mündigere Bürgerinnen und Bürger sind.
Denkfabrik: Sie haben vor kurzem ein Positionspapier vorgelegt, indem es um das Verhältnis zwischen KI und Klimaschutz geht. Wie kann KI zu mehr Nachhaltigkeit beitragen?
Daniel Abbou: Ich glaube, dass wir in Deutschland und Europa den Markt B2C nutzen, da sind die US-Konzerne und Chinesen uns um einiges voraus. Aber wo die große Chance für Deutsche und Europäische KI liegt, ist der B2B Bereich. Und da ist natürlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz ein essenzieller Punkt. Aber was man noch mehr sehen muss ist, und da zitiere ich gerne Professor Luciano Floridi von der Universität in Oxford der sagt: Sustainability is not the cherry on the cake – it‘s the cake. Es ist die Chance für uns, KI-Produkte zu bauen, die Klimaschutz, die Nachhaltigkeit tief in ihrer Algorithmus-DNA drin haben. Und sowas hat dann auch eine Chance auf dem Weltmarkt und nicht nur in Deutschland und Europa. Und deshalb sollten wir die Chancen, die bei KI und Nachhaltigkeit entstehen, ganz besonders im Blick behalten.
Denkfabrik: Gibt es denn aus Ihrer Sicht bereits heute KI-Produkte die maßgeblich zum Klimaschutz beitragen?
Daniel Abbou: Ich denke mal, wenn man sich überlegt, was in den Landesämtern für Vermessungstechnik, in den meteorologischen Instituten, was für Datenschätze, die seit 1763 gesammelt werden, und ich rede nicht einfach von Klimaberechnung, aber wenn du daraus Schlussfolgerungen ziehen kannst. Wenn du diese Datenschätze, die in irgendwelchen Leitz-Ordnern vergammeln, endlich digitalisieren würdest, dann könntest Du da auch Produkte erzeugen und Muster erkennen. Weil KI beinhaltet ja in einem weiten Teil auch Muster zu erkennen, wo das menschliche Auge oder das menschliche Gehirn noch keine Muster gesehen hat. Und dann finden sich da Business-Cases. Heute zum Beispiel maritime Überwachung. Da gibt es ganz viele, die sozusagen auswerten können, Schlüsse ziehen können, Prognosen in die Zukunft wagen können. Oder der Forst. Also mit einer Drohne über den thüringischen Forst mit Bilderkennung drauf, die sofort erkennt, durch Klimawandel müssen wir hier den Wald von Esche zur Birke umstellen, damit dieser Forst gesund bleibt. So ganz simple Geschichten können es sein. Wo auch gigantische Potenziale sind, ist KI und Bau. Es wird zum Glück viel gebaut, aber das ist nicht unbedingt die nachhaltigste aller Industrien. Und da könnte man mit KI Lieferketten, Baumaterial-Analysen und allem Möglichen, gigantische Potenziale rausholen. Und das sind nur ein paar Beispiele von vielen. Und ich bin der Meinung von Professor Fluridi: It‘s the cake.
Denkfabrik: Die Entwicklungen im Bereich KI sind sehr dynamisch. Wenn Sie einen Blick in die Zukunft wagen: Mit welchen Themen wird sich der KI-Verband in 20 Jahren beschäftigen?
Daniel Abbou: Auch wenn ich diese Antwort wüsste, wäre mein Bankkonto in 20 Jahren mit Sicherheit gut gefüllt. Die Frage zu stellen ist gewagt. Ich glaube, wir können nicht in 20 Jahre gucken. Also nicht wirklich. Ich glaube, wir können in die nächsten 5 Jahre gucken. Ich glaube, dass der Punkt des Quantencomputings definitiv Auswirkungen auf die KI-Szene haben wird. Wenn das wirklich greifbar und sich mehr durchsetzen wird. Aber allein, wenn man sich überlegt, was in den letzten 5 Jahren passiert ist, wie große KI-Modelle, also large AI models wie GPT-3 von open AI, wo wir jetzt auch eine europäische Antwort drauf finde müssen, in 20 Jahren aussehen. Es ist immer lustig zu sehen, wie sogenannte Zukunftsforscher auf 20 Jahre blicken und wie viel Quark da rauskommt. Und deshalb möchte ich das gar nicht machen.
Denkfabrik: Herr Abbou, vielen Dank für das Gespräch.