Dr. Matthias Peissner, Leiter des Forschungsbereichs Mensch-Technik-Interaktion beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO erklärt, welche Chancen KI für die Arbeitswelt bietet und wie die Entwicklung guter KI-Lösungen gelingen kann.
„Menschliches Erfahrungswissen macht KI-Lösungen erst wertvoll“
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Interview mit Herrn Dr. Peissner in der Textfassung:
Denkfabrik: Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO unterstützt die Civic Innovation Platform. Warum ist das Projekt für Ihr Institut und Sie persönlich von Interesse, und was können Sie als Kooperationspartner einbringen?
Dr. Matthias Peissner: Das Fraunhofer IAO ist eine führende Institution zum Thema zukünftige Arbeit und Arbeitsgestaltung; wir beschäftigen uns schon lange mit KI. Das bedeutet, wir forschen selbst zu KI-Lösungen und unterstützen Unternehmen dabei, KI-Technologien einzuführen. Dabei setzen wir uns stets für eine ganzheitliche Perspektive ein: Wir sehen nicht nur die wirtschaftlichen Belange, sondern denken vom Menschen her und von der Gesellschaft. Ich habe zum Beispiel selbst schon im Rahmen eines großen, internationalen Projektes an einer Plattform mitgearbeitet. Dabei ging es um die Entwicklung barrierefreier IT-Lösungen. Und wir haben unsere eigenen Netzwerke, zum Beispiel durch unser KI-Fortschrittszentrum in Baden-Württemberg. Neben Wissen können wir also viele Kontakte mit einbringen. Denn Plattformen leben von ihren Akteurinnen und Akteuren und von einer starken Interaktivität.
Denkfabrik: Sie entwickeln nicht nur mit Unternehmen jeglicher Größenordnung, sondern auch mit Institutionen und Einrichtungen der öffentlichen Hand Strategien für die digitale Arbeitswelt. Welche Rolle spielt dabei KI? Gibt es Unterschiede bei den Anforderungen?
Dr. Peissner: Im Moment befinden wir uns in einer Suchphase. Unternehmen und Institutionen wollen wissen, was sie mit KI machen können. In den meisten Fällen geht es um Rationalisierung und Automatisierung. Auch die Frage, wie sich Arbeitsauslastung und Ressourcenbedarf möglichst gut vorhersagen lassen, spielt eine wichtige Rolle – insbesondere seit der Corona-Pandemie. In vielen Betrieben gab es im letzten Jahr extreme Schwankungen in der Auslastung und damit auch beim Personalbedarf. Diese Flexibilität in der Planung wird immer gefragter und lässt sich langfristig nur durch intelligente Automatisierung in den Griff bekommen. Bei all dem sehe ich eigentlich kaum Unterschiede zwischen der privaten Wirtschaft und den öffentlichen Institutionen. In der Zukunft wird es aber nicht nur darum gehen, das was wir heute tun, kontinuierlich zu verbessern oder zu beschleunigen, sondern die Potenziale von KI für disruptive Innovationen viel mehr zu erkunden: Was erreicht man durch die intelligente Integration verschiedener Datenquellen und lassen sich auf dieser Grundlage interessante Services und Dienstleistungen anbieten oder neue Geschäftsmodelle entwickeln? Solche Fragen werden wichtig.
Denkfabrik: Haben Sie schon etwas Konkretes im Sinn?
Dr. Peissner: Ich habe weniger ein Beispiel als eine Analogie. Denken Sie an das Smartphone und die Entwicklung, die wir vor circa 10 bis 15 Jahren durchgemacht haben. Indem die Firma Apple das Telefon um eine App-Plattform erweitert hatte, war es plötzlich ein ganz anderes Produkt mit neuen Geschäftsmöglichkeiten. An so etwas denke ich. Bislang mussten wir für solche Innovationen allerdings meistens über den Atlantik schauen.
Denkfabrik: Wie kann man den Technologie-Standort Deutschland stärken?
Dr. Peissner: Ich denke, prinzipiell läuft schon viel in die richtige Richtung. Es wird zum Beispiel viel getan, um deutsche Städte für Start-ups attraktiver zu machen. Was fehlt, ist ein gewisser kultureller Wandel: Ein Scheitern oder ein Ausprobieren im Lebenslauf darf sich nicht gleich negativ auswirken. Da können wir noch besser werden.
"Wir müssen die betroffenen Menschen, die später mit der KI-Lösung zu tun haben, in die Entwicklung und Gestaltung miteinbeziehen. Außerdem müssen die Lösungen erklärbar sein. Die Menschen sollen zumindest im Ansatz verstehen, was da letztendlich passiert. Dafür muss auch transparent sein, welche Daten genutzt werden."
Dr. Matthias Peissner
Denkfabrik: Welche Hoffnungen verbinden Sie mit KI für eine fairere und sozialere Arbeitswelt?
Dr. Peissner: Bislang war Technik eher eine Hürde auf dem Arbeitsmarkt. Für viele Aufgaben musste man bestimmte technische Kompetenzen und Kenntnisse mitbringen. KI kann helfen, Technik zugänglicher zu machen, zum Beispiel durch Gestenerkennung oder automatische Übersetzungen. So können Interaktionsmöglichkeiten entstehen, durch die Menschen mit einer anderen Muttersprache, aber auch mit körperlichen Einschränkungen dennoch vollwertig mitarbeiten können. Das würde die Beschäftigungsfähigkeit stärken. Im HR-Bereich können KI-Lösungen außerdem dazu beitragen, neutralere, objektivere und fairere Personalentscheidungen zu treffen.
Denkfabrik: Worauf kommt es bei der Entwicklung von KI an, dass sie für Menschen gut funktioniert?
Dr. Peissner: Dabei geht es vor allem um Partizipation. Wir müssen die betroffenen Menschen, die später mit der KI-Lösung zu tun haben, in die Entwicklung und Gestaltung miteinbeziehen. Außerdem müssen die Lösungen erklärbar sein. Die Menschen sollen zumindest im Ansatz verstehen, was da letztendlich passiert. Dafür muss auch transparent sein, welche Daten genutzt werden.
Denkfabrik: Wie kann es gelingen, dass betroffene Menschen KI-Lösungen mitgestalten können? Zum Beispiel eine Anwendung für mehr Barrierefreiheit – wie werden Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen in die Entwicklung integriert?
Dr. Peissner: Eine technologische Entwicklung startet bestenfalls immer damit, den Nutzungskontext genauer zu durchleuchten. Welche Vorkenntnisse haben die Menschen, die ich erreichen möchte? Welche Wünsche, Ziele, aber auch Schwächen? Über Interviews und Beobachtungen lässt sich besser verstehen, worauf es diesen Menschen wirklich ankommt. Das ist der erste Schritt. Aber auch danach sollten Entwicklerinnen und Entwickler sich nicht ins „stille Kämmerchen“ zurückziehen, sondern der Nutzungsgruppe erste Prototypen und Entwürfe früh zur Verfügung stellen und um ihr Feedback bitten. Die Idee von menschenzentrierter Gestaltung ist, dass die zukünftig Nutzenden ein integraler Bestandteil des Designteams sind. Es gibt auch ISO-Normen für die Einhaltung dieser Prozesse.
Denkfabrik: Können Sie aus Ihrem Arbeitsalltag konkrete Beispiele nennen, bei denen sozial-innovative KI-Anwendungen bereits heute zum Einsatz kommen und das Zusammenspiel von Mensch, Organisation und Technik systematisch optimieren?
Dr. Peissner: Blicksteuerung und Gestenerkennung sind für Menschen mit motorischen Einschränkungen schon eine gute Hilfestellung, um mit IT-Lösungen umzugehen. Ansonsten denke ich da vor allem an den Wissenstransfer in Unternehmen, insbesondere in der Industrie. Da sind Mitarbeitende mit starkem Know-how ein wichtiger Wettbewerbsfaktor, aber viele von ihnen werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Bislang musste man diese Menschen bitten, ihr Wissen bereitzustellen, damit alle im Unternehmen davon profitieren können und eine Wissensdatenbank entsteht. Solche Systeme gab es bereits in den Nullerjahren; sie haben aber nicht so gut funktioniert, da die Menschen es nicht als ihre primäre Aufgabe sahen, Anleitungen zu schreiben und es auch Hemmungen gab, Wissen zu teilen – man will sich ja ungern entbehrlich machen. Mit KI-Lösungen können wir die Barriere deutlich senken.
Denkfabrik: Inwiefern?
Dr. Peissner: Über Sensorik und Software-Systeme können wir erkennen, was diese Expertinnen und Experten machen, um die Probleme zu lösen. Dann können wir ihnen noch die Möglichkeit bieten, selbst Erläuterungen hinzuzufügen, zum Beispiel über Sprache, ein Video oder einen Text. Diese kleinen Lösungsstrategien, die wir dort abspeichern, münden dann in eine Wissensdatenbank, wo sie auf Funktionalität überprüft, bewertet und vielleicht sogar teilautomatisch aufbereitet werden. Das ist ein schönes Beispiel dafür, das zeigt, was der Mensch einbringen muss: Wissen. Ohne menschliches Erfahrungswissen werden wir mit den besten KI-Lösungen wenig anfangen können. Dafür aber braucht es eine vertrauensvolle Umgebung. Die Mitarbeitenden dürfen nicht das Gefühl haben, sie stellen ihr Wissen bereit und stehen dann vor der Tür. Das zeigt einmal mehr: Es geht oft gar nicht so sehr um die technische Umsetzung, sondern um eine entsprechende Kultur.
Denkfabrik: Sie sind studierter Psychologe. Wie bewerten sie das Potenzial von KI-Anwendungen, Menschen mit psychischen Hilfsangeboten zu unterstützen?
Dr. Peissner: Wir arbeiten momentan daran, emotionale Zustände in Echtzeit zu erfassen. Im Arbeitskontext können solche Erkenntnisse dabei helfen, den Tag besser zu strukturieren oder bewusster auszurichten. Man könnte zum Beispiel erkennen, wenn ein anderer Zeitpunkt für eine anspruchsvolle Aufgabe geeigneter wäre.
Denkfabrik: Können Maschinen „empathisch“ sein und birgt eine solche Gefühlssimulation Gefahren für vulnerable Menschen?
Dr. Peissner: Ein therapeutisches Gespräch durch ein KI-Gespräch zu ersetzen, halte ich definitiv für gefährlich. Aber es kann eine hilfreiche Ergänzung sein, um den Therapieprozess zwischen den Sitzungen zu unterstützen, beispielsweise mit bestimmten Übungen und Denkweisen. Die Fragestellung, ob Technik den Menschen ersetzen wird, begleitet uns ja auch im Bereich der Pflege. Ich bin der Meinung, dass diese Diskussionen wichtig sind, aber nicht beherrschend sein sollten. Noch einmal: Es geht nicht darum, den Menschen zu substituieren, sondern Möglichkeiten zu finden, wie der Mensch durch ein KI-System mehr Autonomie und Kompetenzen bekommen kann. Darauf sollten wir uns konzentrieren.
Denkfabrik: Herr Dr. Peissner, vielen Dank für das Gespräch.